Das Bild zeigt ein farbenfrohes Handlettering mit den Worten "Übung macht den Meister" der Handlettering Künstlerin Tina Niemann. Es liegt auf einem Holztisch und ist dekoriert mit Pfingstrosen.

#8 – Übung macht den Meister: meine „unpopular opinion“

In meinem Musikstudium hatte ich jeden Mittwoch Klavierunterricht. Und jeden Dienstag Nachmittag kickte das schlechte Gewissen rein. „Mist, wieder nicht geübt. Wie peinlich. Kannste wieder nicht abliefern. – Na ja, jetzt ist es eh zu spät. Wird schon gehen, irgendwie. – Und außerdem: WER ÜBT HAT ANGST!

Fast so war es auch mit meiner ersten Band: Wir haben uns zwar regelmäßig getroffen, aber eher nicht zur Probe, sondern zum Bier trinken. Das war rebellisch, provokativ, lustig. Klassisches Ausweichverhalten. Aber – real talk – so funktioniert es halt auf Dauer nicht.

Keine Sorge, hier geht’s heute nicht (nur) um Musik – meine „unpopular opinion“ lässt sich auf ziemlich alle kreativen Prozesse übertragen. Auch auf das Handlettering 😉

Ich weiß nicht, wie oft ich schon (mit verschiedensten „Schülern“ oder in Workshops) gehört habe, dass das Üben „nervt“. Dass man keine Lust darauf hat, ein paar Skizzen anzufertigen oder eine Vorzeichnung zu machen, bevor man ein Projekt final angeht. Dass das bestimmt auch „ohne alles“ geht. Was soll ich sagen… klar, kenn ich, geht auch irgendwie. Hab ich ja oben schon erzählt. Und doch bin ich mittlerweile eines Besseren belehrt. (Ich bin ehrlich, das hat aber auch ein paar Jahre gedauert.)

Im Laufe meiner Handlettering-Jahre habe ich festgestellt, dass es mir immer leichter fällt, ein neues Lettering auf Papier zu bringen. Nein, nicht immer leicht, aber leichtER. Falls du meinen Newsletter abonniert hast, kennst du meinen struggle damit. (Und falls nicht: hier geht’s zur Anmeldung für meinen Newsletter) Mittlerweile bin ich schon fast 6 Jahre dabei und habe immerhin schon über 400 Postings auf Instagram gemacht. Ich habe Buchstaben in verschiedensten Varianten gezeichnet und Banner und andere Schmuckelemente jeder Art. Ich habe mir eine gewisse Vielfalt angeeignet, aus der ich für meine nächsten Letterings schöpfen kann.

Das Bild zeigt den Prozess der Entstehung eines Handletterings mit dem Spruch "Knowing yourself is the beginning of all wisdom". Zu sehen sind verschiedene Skizzen für dieses Handlettering.
Von den Skizzen und Entwürfen…
Das Bild zeigt das Ergebnis einen Handlettering-Prozesses mit dem Spruch "Knowing yourself is the beginning of all wisdom". Es ist in schwarz-weiß gehalten, liegt auf einem rosa Untergrund und ist dekoriert mit bunt eingefärbten Gräsern.
…zum Ergebnis!

Ich habe quasi mein Handwerkszeug gelernt, das ich jetzt anwenden kann. Das erinnert mich gerade an einen Kollegen, der über den Komponisten J.S. Bach immer sagt: Seine Kompositionen sind 1% Inspiration und 99 % Handwerk. Same here: Wenn ein kleiner Funke an Inspiration da ist, genügt der schon, um daraus mit dem richtigen Handwerkszeug das ganze Lettering zu gestalten.

…ist mittlerweile widerlegt. Puh, Glück gehabt. Du musst keine 10.000 Stunden mehr üben, bis du erfolgreich deine eigenen Letterings präsentieren kannst.

Anfang der 1990er hat der US-Psychologe Anders Ericsson die Lebensläufe von Musikstudenten analysiert und stellte dabei fest, dass die besten Studenten des Jahrgangs bereits im jungen Alter mit regelmäßigem Üben angefangen hatten und rund 10.000 Stunden intensiv geübt hatten, bis sie ihre Disziplin beherrschten. Es ergab sich also der Trugschluss, dass Disziplin und Ausdauer einen großen Einfluss auf den Erfolg haben.

Joa, ganz unwahrscheinlich ist das nicht. In dem guten alten Sprichwort „Übung macht den Meister“ steckt sicher ein wahrer Kern. Wir sind schließlich nicht alle kleine Mozarts oder andere „Wunderkinder“, denen das Talent in die Wiege gelegt wurde. Mittlerweile ist aber auch klar, um richtig gut in einer Disziplin zu sein, braucht es vor allem Leidenschaft für das, was man tut. Die reine Aufrechnung der verwendeten Zeit ist nicht entscheidend. Das gilt auch für das Handlettering.

Das Stichwort ist die sogenannte „intrinsische Motivation“: ein innerer Antrieb, der aus einem selbst heraus entsteht. Man kann nur richtig gut in einer Disziplin werden, wenn man richtig viel Spaß daran hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das ist der Nährboden für kreative Idee und für das Ausprobieren von Neuem.

Und wie bleibt man „intrinsisch motiviert“ und am Ball? Ich lasse mich gerne von anderen KünstlerInnen inspirieren. Ich schaue mir ihre Werke sehr genau an, analysiere sie und versuche sie dann zu nachzuahmen. Quasi so, wie Kinder lernen – durch Imitation 😉 Um das ganz klarzumachen: Es geht nicht darum, etwas 1-zu-1 abzumalen. Es geht eher darum zu verstehen, warum ein bestimmtes Werk so harmonisch oder gelungen wirkt. Es geht darum, das eigene „kreative Auge“ zu schulen. Und es geht darum, den eigenen „Werkzeugkoffer“ zu erweitern.

Ich glaube ja nicht an Zufälle, aber das war jetzt irgendwie doch einer: Beim Aufräumen meines Arbeitszimmers sind mir ein paar ältere Letterings in die Hände gefallen mit Sprüchen drauf, die ich „zufällig“ neulich nochmal gelettert hatte. (Die alten Werke hatte ich längst vergessen…) Und jetzt schau dir bitte mal diese Werke im Vergleich an, meine früheren und meine aktuellen Arbeiten. Was denkst du – ist hier ein Fortschritt erkennbar? Ohne Eigenlob: ich denke JA.

Das Bild zeigt zwei Handlettering-Werke, die nach 5 Jahren nochmal neu gestaltet wurden. Es wird deutlich, wie sich der Stil der Künsterlin verändert hat.
Die gleichen Sprüche, aber mit 5 Jahren Erfahrung und Entwicklung dazwischen

Zwischen beiden Versionen liegen etwa 5 Jahre Übung und Weiterentwicklung. Ganz unbewusst habe ich mir eine krasse Eigenschaft unseres menschlichen Gehirns nutzbar gemacht: die Neuroplastizität. Diese besagt, dass wir in jedem Alter neue Dinge lernen und neue Gewohnheiten etablieren können. Unser Gehirn ist in der Lage, neue Verknüpfungen anzulegen, also quasi neue „Autobahnen“ zu bauen. Und je öfter wir diese „neuronalen Autobahnen“ benutzen, umso stärker bilden sich diese Verknüpfungen aus. Kontinuierliches Üben zahlt sich also aus, wenn man Handlettering lernen oder verbessern möchte.

By the way: In meinen Basic Handlettering Workshops zeige ich IMMER ein paar meiner ersten Anfänger-Werke. Ich bin echt froh, dass ich sie aufbewahrt habe und motiviere auch meine TeilnehmerInnen dazu, sie aufzubewahren. Und sei es nur, um sich irgendwann den eigenen Fortschritt mit eigenen Augen anzuschauen und sich entsprechend zu feiern 😊

Die Skills, ein schickes Handlettering-Werk entstehen zu lassen, eignet man sich nicht über Nacht an. Kreatives Wachstum passiert nicht einfach so. Du musst zwar definitiv kein 10.000 Stunden üben, aber du solltest dranbleiben. Learn the basics, motiviere dich zu kleinen Schritten und schaffe dir kreative Gewohnheiten.

Glücklicherweise lässt sich unsere Kreativität nicht als richtig oder falsch bewerten – also sei mutig und versuche auch mal andere Wege auf der „neuronalen Autobahn“ zu nutzen.

Das Bild zeigt ein farbenfrohes Handlettering mit dem Sprichwort "Übung macht den Meister" der Handlettering Künstlerin Tina Niemann. Es liegt auf einem Holztisch und ist dekoriert mit Pfingstrosen.
Das Sprichwort mit dem wahren Kern 😉

Wie stehst du zum Thema Üben? Überflüssig und uncool? Oder hilfreich und wertvoll? Schreib mir deine Sicht der Dinge in die Kommentare.

Und wenn du dir beim Üben Unterstützung wünschst oder aber einen Tipp brauchst um weiterzukommen, hinterlasse mir gerne eine Nachricht unter diesem Artikel.

xo, Tina


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Kommentare

Eine Antwort zu „#8 – Übung macht den Meister: meine „unpopular opinion““

  1. […] Stolz für deine Kreationen empfindest. Du wirst sehen: Übung macht den Meister (darüber habe ich hier schon gebloggt 😉) und die Mühe wird sich […]

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